Seit 2011 laden die Erziehungshilfefachverbände in Deutschland - der Bundesverband für Erziehungshilfe (AFET), der Bundesverband Caritas Kinder- und Jugendhilfe e.V. (BVkE), der Evangelische Erziehungsverband (EREV) und die Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen (IGfH) - jährlich ein zu einem Parlamentarischen Gespräch im Deutschen Bundestag. Ziel ist es, den fachlichen Austausch und vertrauensvollen Kontakt zu Bundestagsabgeordneten her- und sicherzustellen, um gemeinsam aktuellen Handlungsbedarfen in der Kinder- und Jugendhilfe zu begegnen. Das Format hat sich in den letzten Jahren erfolgreich etabliert, sodass auch in diesem Jahr ein Dialog auf Augenhöhe zwischen den Geschäftsführungen und Vorständen der Verbände, den Abgeordneten und ihren Referent*innen gelungen ist. Teilgenommen haben politische Vertreter*innen von SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen. Die Schirmherrschaft hat erneut Ulrike Bahr, Vorsitzende des Bundestagsausschusses Familie, Senioren, Frauen und Jugend, übernommen. Thematisch lag der Fokus auf gemeinsamen Überlegungen dazu, wie die Kinder- und Jugendhilfe inklusiver und damit auch bedarfsgerechter ausgestaltet werden kann:
Inklusion im Sinne junger Menschen und Familien
Die Erziehungshilfefachverbände betonen im gemeinsamen Gespräch, wie wichtig es ist, die inklusive Weiterentwicklung des SGB VIII zu nutzen, um eine Verbesserung für junge Menschen und Familien zu erreichen. Gerade der Übergang von der Kinder- und Jugendhilfe zur Eingliederungshilfe führt in der Praxis immer wieder zu Abbrüchen. Junge Erwachsene, die zuvor im Leistungssystem des SGB VIII betreut wurden, werden in der Eingliederungshilfe oft erst im Alter von 30 Jahren erreicht - eine Lücke, die sowohl biographisch als auch wirtschaftlich schwerwiegt. Da die Refinanzierung inklusiver Hilfen bislang nicht möglich ist, entsteht insbesondere für die jungen Menschen eine große Unsicherheit an den Übergängen mit Blick auf ihre weitere Lebensgestaltung.
Gesetzlich braucht es daher:
- eine stärkere Verpflichtung zur Zusammenarbeit an den Übergängen zwischen Kinder- und Jugendhilfe und Eingliederungshilfe
- eine Entfristung des § 10b SGB VIII und eine Ausweitung der Zielgruppe der Verfahrenslots*innen auf Eltern junger Menschen ohne Behinderung
- einen Abbau von Exklusion, die eine bedarfsorientierte Hilfegewährung einschränkt und Zugänge erschwert
- eine Begrenzung der Länderrechtsvorbehalte, um die Hürden des bestehenden Flickenteppichs abzubauen
Beteiligungsstrukturen für junge Menschen und Eltern in einem inklusiven SGB VIII ausbauen
Mit dem Kinder- und Jugendstärkungsgesetz hat der Gesetzgeber eine gute Grundlage gelegt, um Eltern und junge Menschen in ihren Beteiligungsrechten und Selbstvertretungsmöglichkeiten gegenüber der freien und öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe zu stärken. Ein Praxisprojekt der IGfH bestätigt: je stärker sich Eltern beteiligt fühlen, desto förderlicher empfinden sie auch die Hilfeleistung insgesamt. Gleichzeitig ist die Beteiligung von Eltern - anders als in der Eingliederungshilfe - im System der Kinder- und Jugendhilfe bislang nicht strukturell vorgesehen.
Gesetzlich braucht es daher:
- das verbindliche Vorhalten von Elternräten sowohl in den Organisationen der freien als auch öffentlichen Kinder- und Jugendhilfe
- eine entsprechende Ausstattung mit finanziellen und personellen Ressourcen
Darüber hinaus gilt es auch die Selbstvertretungen der jungen Menschen verbindlicher zu stärken. Von politischer Seite wird hier bislang vor allem der Care Leaver e.V. als engagierte politische Kraft wahrgenommen.
Gesetzlich braucht es daher:
- eine verbindlichere Mitwirkung junger Menschen aus den Erziehungshilfen an kommunalen Beteiligungsstrukturen wie dem Jugendhilfeausschuss
- eine Förderung von Selbstvertretungen junger Menschen aus den Erziehungshilfen auf Bundesebene, etwa in einem Zusammenschluss von Landesheim- und Jugendräten mit entsprechend finanziellen und personellen Kapazitäten
- die Einführung von Formen der partizipativen Mitbestimmung von jungen Menschen in der Einrichtungsaufsicht und -beratung
Um die Beteiligungsmöglichkeiten von Eltern und jungen Menschen qualitativ weiterentwickeln und bedarfsgerecht ausgestalten zu können, regen die Erziehungshilfefachverbände eine bundesweite Untersuchung zur Ausgestaltung der Beteiligung von Eltern und jungen Menschen mit und ohne Behinderung
an.
Inklusiven Kinderschutz umsetzen und weiterentwickeln
Junge Menschen mit Behinderung werden bislang kaum als Zielgruppe z.B. von Inobhutnahmen wahrgenommen, entsprechend unzureichend sind die Einrichtungen und Strukturen auf ihre Unterbringung vorbereitet. Wie Praxisbeispiele zeigen, führt dies mitunter dazu, dass nicht die jungen Menschen mit Behinderung bei gewalttätigem Verhalten in Obhut genommen werden, sondern ihre Geschwisterkinder. Als Brennglas für das Missverhältnis zwischen Angebots- und Bedarfslage zeigt der Kinderschutz außerdem
Lücken in der Unterbringung und Betreuung unbegleiteter minderjähriger Geflüchteter.
Gesetzlich braucht es daher:
- eine klare Zuständigkeit der Kinder- und Jugendhilfe für junge Menschen mit seelischer, geistiger und körperlicher Behinderung
- eine nachhaltige Absicherung von bestehenden Fachberatungsstellen im Kinderschutzsystem des SGB VIII
- eine verlässliche Infrastruktur für die Unterbringung und Betreuung junger Menschen mit Fluchthintergrund
In dem Austausch mit den Parlamentarier*innen wird immer wieder sichtbar, wie wichtig es ist, die Kinder- und Jugendhilfe auch an den Schnittstellen zu anderen Leistungsfeldern und politischen Programmen mitzudenken. So illustriert zum Beispiel das Gesetz zur Stärkung der Strukturen gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen, dass die Schnittstellen zu den Erziehungshilfen hier zu wenig Berücksichtigung finden - was fehlt, sind etwa Standards und Leitlinien für die institutionelle Aufarbeitung, aber auch eine stärkere Verzahnung der neuen Angebote mit den bereits vorhandenen Beratungsstrukturen und -Aufträgen in den Fachberatungsstellen und Landesjugendämtern.
Ein übereinstimmendes Resümee am Ende des Parlamentarischen Gesprächs macht deutlich, dass wir als Erziehungshilfefachverbände in Verantwortungsgemeinschaft mit den engagierten Politiker*innen des Deutschen Bundestags bereits zahlreiche Verbesserungen für junge Menschen und Familien erreichen konnten und auch weiterhin zusammen die Entwicklung einer partizipativen modernen Kinder- und Jugendhilfe betreiben wollen.
Die Fachverbände für Erziehungshilfen in Deutschland, 03. Juli 2024
AFET - Bundesverband für Erziehungshilfe e.V.
Bultstr. 5a, 30159 Hannover | Kontakt: Dr. Koralia Sekler, sekler@afet-ev.de
BVkE- Bundesverband katholischer Einrichtungen und Dienste der Erziehungshilfen e.V.
Karlstraße 40, 79104 Freiburg | Kontakt: Stephan Hiller, stephan.hiller@caritas.de
EREV - Evangelischer Erziehungsverband
Flüggestr. 21, 30161 Hannover | Kontakt: Dr. Björn Hagen, b.hagen@erev.de
IGfH - Internationale Gesellschaft für erzieherische Hilfen
Galvanistr. 30, 60486 Frankfurt | Kontakt: Josef Koch, josef.koch@igfh.de
Die Pressemitteilung finden Sie untenstehend zum Download.